Es war so um die Mittagszeit und alle waren sich sicher, dass es jeden Moment losgehen kann. An diesem Tag wurde eine Couchgarnitur geliefert. Noch während des Auspackens und dem anschließendem Platzieren der Möbel ist es passiert. Zuerst hat keiner der Anwesenden etwas mitbekommen. Aber dann war es nicht mehr zu verbergen.
Alle wußten, dass es bald soweit sein würde und waren entsprechend vorbereitet. Die wichtigsten Dinge waren schon seit Tagen bereitgestellt, im Hausflur neben dem Spiegel. Im Fall der Fälle bloß keine Zeit verlieren. Zeit war ein entscheidender Faktor. Immer.
Der Weg war nicht weit und beim Eintreffen war auch sofort eine Ärztin da.
"Die Fruchtblase ist geplatzt - es kann noch etwas dauern - aber es ist nicht mehr aufzuhalten."
"Wieviel Zeit haben wir noch?"
"In den nächsten zwei bis drei Stunden wird sich wohl noch nichts tun."
Gut - dann noch schnell nach Hause, duschen, essen, einen Kaffee, sich einrichten auf eine lange Nacht. Sie würden sich melden, falls der Zustand sich ändere.
Gegen 16:00 Uhr zurück in der Klinik stellte sich heraus, dass es doch noch länger dauern würde als zuerst angenommen.
Unendliche Wechsel zwischen Entspannungsbädern, Wehenschreiber-Aufzeichnungen und Spaziergängen in den weiten Fluren. Treppen auf, Treppen ab - den langen Gang entlang. Stufen und Fliesen gezählt, die Blätter an der großen Palme im Voyer. Einfach alles.
Zwischendurch immer wieder Wehen. Die Ärzte sagten, man solle sich an den Partner hängen, leicht in die Knie gehen und die Wehe "mitnehmen". Die Abstände hatten sich bei etwa 20 Minuten eingependelt. 5 wären gut gewesen, aber 20 waren zuviel. Also weiter zwischen Flur und Bäderabteilung hin und her.
Mittlerweile waren mehr als 10 Stunden vergangen. Die Kräfte ließen nach und die Nerven wurden auf eine harte Zerreissprobe gestellt. Die Ärzte versuchten zu beruhigen, aber mit jeder Minute wurde der Zustand unerträglicher.
Es war inzwischen nach zwei Uhr morgens, als der Kreissaal geöffnet wurde und die anwesende Hebamme alles vorbereitete. Immernoch Wehen, die Abstände hatten sich auf etwa zehn Minuten reduziert - immernoch zu viel Zeit dazwischen.
Weitere zwei Stunden vergingen und dann - Geburtsstillstand!
Was bedeutet das? Was ist los? Ich verstehe nicht.
Der Saal füllte sich mit 4 weiteren Ärzten und Assistenten. Der leitende Arzt erklärte, dass der Kopf des Kindes unter dem Schambein festsitze. Man könne das Kind nicht zurückdrücken. Also muss mit einer Glocke die Position des Kopfes verändert werden. Für einen Kaiserschnitt ist es zu spät.
Eine Ärztin kniete sich auf das Bett - ein Schrei.
Neun Monate lang hatte ich auf sie aufgepasst, ihren Bauch geschützt.
Eine Person im weißem Kittel drückte mit aller Kraft auf den Bauch.
Bis drei zähle ich - dann schlage ich zu.
Die Hand zur Faust geballt, bereit zuzuschlagen ...
... drei ...
... zwei ...
"Wir haben es geschafft - es ist überstanden", sagte der Chefarzt,
"es ist 04:28 Uhr. Herzlichen Glückwunsch - Sie haben eine Tochter."
Am Kopf des Kindes waren deutlich die Spuren der Glocke zu sehen und zu spüren.
"Das kommt vom Vakuum und ist völlig normal. Keine Angst, in zwei bis drei Tagen ist davon nichts mehr zu sehen."
Zur weiteren Untersuchung wurde das Kind in einen anderen Raum mitgenommen, die Wunden der Mutter wurden versorgt.
Vom Balkon der Klinik aus konnte man sehen, dass der Tag bereits angebrochen war. Karfreitag, noch zwei Tage bis Ostern.
Den Rücken an die Wand gelehnt, die Knie gebeugt und den Kopf nach vorn gesenkt, kam eine ältere Dame dazu und fragte besorgt: "Ist etwas passiert? Sie sehen traurig aus."
"Nein - alles in Ordnung. Ich bin gerade Vater geworden. Frau und Kind geht es gut."
Die Tränen waren nicht mehr zurückzuhalten, die Gefühle der vergangenen Stunden und Minuten einfach zu viel.
Es war etwa halb Sieben, als die Klinik im Rückspiegel des Audi verschwand. Im Radio lief Dr. Alban - "Sing Hallelujah" und kein Song der Welt hätte besser gepasst.
Passiert ist das genau heute vor 4.748 Tagen
Alles Gute zum Geburtstag mein Kind!
2 Kommentare:
Nachgerechnet: 13 Jahre. Die aber klingen wie gestern abend.
Was beweist, was für ein unvergessliches Erlebnis es sein muss.
Sehr intensive Erfahrungen wirken lange nach. Die Geburt des ersten Kindes ist zweifelsfrei eine solche. Und in dieser Nacht habe ich noch viele Erfahrungen, in sehr konzentrierter Form, gemacht. Nicht jede davon war schön, aber nachhaltig prägend.
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