Sonntag, Mai 21, 2006

Aber nur bis zur Abendschau (2)

Teil 1: Aber nur bis zur Abendschau (1)

Etwa zweihundert Meter weiter die Strasse hoch verlief die Bahnlinie. Der kleine, zweigleisige Bahnhof lag nochmal gute 400 Meter weiter. Die Züge verkehrten hier allenfalls im Abstand von 2-3 Stunden und an den Krach der ein- und ausfahrenden Züge hatte ich mich gewöhnt.

Damals noch pünktlich um 17:00 Uhr kam der "Arbeiterzug". So nannten die Leute im Ort die Verbindung für Pendler. Für mich war das immer ein Zeichen, mich vom Spielplatz über die Wiese auf den Weg nach Hause zu machen. Essenzeit. Am liebsten ein Stück Fleischkäse, etwas Senf, ein Stück Gurke - dazu Brot mit dick Butter bestrichen und ein Glas Milch.

Wir wohnten im ersten Stock eines Dreifamilienhauses. Nebenan war eine Gaststätte die in den 70ern "ODEON" hieß. Gut möglich, dass meine Musikalität in diesen frühen Jahren durch die allabendliche laute Discomusik beeinflußt wurde. Später wurde daraus ein türkisches Lokal, in dem zu jeder Tages- und Nachtzeit Backgammon gespielt und dazu Tee getrunken wurde.
Ruhiger war es dadurch aber dennoch nicht geworden.

Im zweiten Stock über diesem Lokal lebte mein türkischer Freund mit seiner Familie. Sie bewohnten eine kleine 3-Zimmer-Wohnung, die nur über eine alte, knarrende Holztreppe erreicht werden konnte. Die Mutter von 3 Kindern hatte es nicht leicht und der Vater verdiente den spärlichen Unterhalt durch Schichtarbeiten.
Ich war selten aber gerne zu Gast dort, obwohl es meine Oma wohl nicht so gerne hatte. Draußen spielen ja - in die Wohnung eher nein. Immerhin war sie tolerant genug, es mir nicht zu verbieten.
In anderen Familien wäre ein solches Verbot sicherlich nicht unüblich gewesen.

Ein anderer Freund aus Kindergartenzeiten, mit dem ich später auch die Schulbank drückte war Uwe H.
Seine Eltern hatten ein Schuhgeschäft und waren die letzten echten Schuhmacher im Ort. Neben dem Verkauf von modischem Chic wurden auch kaputte oder verschlissene Modelle wieder auf Vordermann gebracht. Im Keller, direkt neben der Waschküche, war die Reparaturwerkstatt. Es roch nach Leim und an den Wänden hingen Schuhspanner, Holzvolagen und Werkzeuge in allen Größen und Formen.

Mit Uwe verbrachte ich sehr viel Zeit, was meiner Oma auch sehr recht war. Das waren ja auch anständige Leute und somit ein guter Umgang für mich.
Darauf hatte sie viel Wert gelegt.

Das größte war aber für mich, wenn Uwe´s Eltern mich fragten, ob ich mitfahren wollte in ihr Wochenendhaus.
Am Samstagnachmittag fuhren wir - eine halbe Autostunde entfernt - zu ihrem Grundstück mit Swimmingpool und Häuschen. Weil der Garten so groß war, hatte Uwe´s Vater einen kleinen Traktor mit Mähwerk und Fangsack angeschafft. Mit dem konnten wir den ganzen Nachmittag herumfahren und dabei den Rasen stutzen. Anschließend hatten wir mächtig Spass bei der verdienten Abkühlung im Pool.

Bevor es abends wieder nach Hause ging, wurde noch Abendbrot gegessen.
Und obwohl Familie H. das Brot beim selben Bäcker wie wir gekauft hatte, verdrückte ich bei Uwe´s Familie drei bis vier Scheiben ganz locker.
Zu Hause schaffte ich gerade mal eine - mit viel Anstrengung noch eine zweite.

Klasse an den Ausflügen mit Uwe war, dass es auch mal später werden konnte, als nur bis zur Abendschau.
Schließlich wurde ich ja mit dem Auto nach Hause gebracht - und meine Oma stand wie immer am Fenster und wartete.

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